galerie probst
Interview with Ganna Ki
galerie probst (gp): Wie beeinflusst deine Perspektive als Frau deine künstlerische Praxis, und gibt es bestimmte Themen im Zusammenhang mit Geschlecht, Identität oder Empowerment, die in deiner Arbeit auftauchen?
Ganna Ki (GK): Eine Künstlerin zu sein bedeutet für mich, meiner inneren Weisheit zu vertrauen, kompromisslos intuitiv zu sein, weniger rational und mehr emotional. Für mich ist weibliche Energie spontan, chaotisch, verspielt und tief mit der Natur und den Elementen verbunden. Sie ist die Große Mutter, aber auch Adams erste Frau, Lilith – ein freier, wilder Geist, den die Kirche zur Mutter des Teufels erklärte, weil sie sich weigerte, unten zu liegen.
Wenn ich an einem Gemälde oder einer Skulptur arbeite oder eine Choreografie für meine Performance schreibe – an jedem Kunstwerk – lasse ich mich vollständig in diese Traumwelt des dunklen Weiblichen fallen, in den Schatten, das kollektive Unbewusste, und lasse die Weisheit der Großen Göttin frei durch mich fließen. Ich beeinflusse den kreativen Prozess nicht aktiv. Ich weiß nie, was sie mir zeigen wird, welche Göttin erscheinen wird, welcher Mythos, welches Archetyp. Es ist, als würde ich einen Tagtraum beobachten – Selbsthypnose, veränderte Bewusstseinszustände. Das Werk erschafft sich selbst. Ich bin einfach nur tief präsent, voller Staunen und Neugier, wartend, bis das Werk sagt: Hallo, ich bin bereit.
Ich lasse die Göttin durch mich sprechen. Sie hat so viel zu sagen – sie war so lange zum Schweigen gebracht, unterdrückt, misshandelt, vom Patriarchat kontrolliert.
Ich bin fasziniert von der Mythologie antiker Zivilisationen, indigener Schamanismen und esoterischer Mystik und davon, wie diese Weisheiten in verschiedenen Religionen miteinander verbunden sind.
Das göttlich Weibliche, die Große Göttin und die Natur spielen eine zentrale Rolle in meiner Arbeit. Indem ich uralte Archetypen wie Berehynia, den Schutzgeist des Waldes aus dem heidnischen 14.–15. Jahrhundert in der Ukraine, neu erschaffe, stelle ich eine Verbindung zu den Wurzeln und Traditionen meines Volkes her, um daraus Kraft und Sinn zu schöpfen und zu meiner wahren Natur zurückzufinden. Die Natur ist meine größte Lehrerin, meine Inspirationsquelle – fantastisch, magisch und geheimnisvoll.
In meinen rituellen Erd-Performances benutze ich meinen Körper, um eine Erdfigur zu formen – eine Silhouette von Berehynia, der Tochter von Bhumi, der Mutter Erde, die aus dem Schoß der Erde aufsteigt. Inspiriert wurde dies von der amerikanisch-kubanischen Künstlerin Ana Mendieta. Das Zusammenspiel von Feuer und Erde erweckt Berehynia zum Leben, setzt die Göttin frei und ruft den ursprünglichen Tanz von Geburt, Tod und Wiedergeburt hervor.
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gp: Wie bist du zur Kunst gekommen, und was hat dich ursprünglich inspiriert?
GK: Ich bin eine Träumerin. Ich wurde als Künstlerin geboren. Ich habe angefangen zu malen, bevor ich laufen konnte. Seit ich 12 Jahre alt bin, stand ich auf der Bühne, spielte im Schultheater, hatte mit 15 eine Band, in der ich zusammen mit meinem Zwillingsbruder sang, war zwei Jahre lang Kapitänin des Schul-Comedy-Clubs und begann mit 16 in einer Show-Ballettgruppe zu tanzen. Ich habe anderen Kindern Kunst beigebracht.
Ich habe mir all das selbst beigebracht – ich habe nie Kunstkurse besucht, nie gelernt, wie man das macht.
Meine Familie hatte in den 90er Jahren mit vier Kindern kaum genug Geld zum Überleben. Manchmal hatten wir nicht einmal genug zu essen, geschweige denn ein Budget für bezahlte Kunstkurse. Aber ich hatte einen großartigen Kulturförderer in der Schule. Wir waren eine künstlerische Gruppe, haben ständig kreiert. Meine Mutter war Schneiderin, mein Stiefvater Bauingenieur – beide sehr geschickt in handwerklichen Tätigkeiten. Ich habe viel von ihnen gelernt.
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gp: Hast du als Frau in der Kunstwelt besondere Herausforderungen erlebt? Falls ja, was hat dir geholfen, sie zu überwinden?
GK: Als Frau ist es schwieriger, ernst genommen zu werden. Während ich zehn Jahre in Düsseldorf lebte, wurde ich in der männerdominierten Kunstszene nicht akzeptiert oder unterstützt – besonders, da ich keiner Kunsthochschule angehörte.
Ich habe zu dieser Zeit Medien- und Kulturwissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf studiert. Es war eine große Herausforderung, einen Platz für Ausstellungen zu finden oder ein Atelier zu bekommen. Männliche Künstler unterstützten dort meist nur andere männliche Künstler. Ich wurde oft für Assistenz- oder Marketingaufgaben angefragt.
Dann habe ich mich mit dem Kunstkollektiv in Halle3 Boui Boui Bilk verbunden, wo es eine Mischung aus Künstlern, Designern und Fotografen gab. Ich habe auch mit dem EXC-Kollektiv Papier & Gelb Verlag an Projekten als Schauspielerin und Tänzerin gearbeitet, im Atelier von Maxim Wakultchik assistiert und mein Praktikum in der staatlichen Galerie Alte Post bei Klaus Richter gemacht.
Nach meinem Studium bin ich nach Berlin gezogen – und dort begann meine künstlerische Karriere zu erblühen. Die unglaubliche weibliche Energie in der Stadt hat mich endlich sichtbar gemacht. Ich habe viel Unterstützung von Frauen geführten Galerien erhalten, darunter Probst, SLP, Lite Haus Gallery, Chrom Art, sowie von Kuratorinnen, weiblichen, männlichen und queeren Künstlern und Kunst-Ökologie-Gemeinschaften wie Lios Labs und Agronauts Collective.
Berlin wurde zu meinem wahren Zuhause – und ich bin sehr dankbar dafür.
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gp: Gibt es Künstlerinnen – aus Vergangenheit oder Gegenwart –, die deine Karriere inspiriert haben?
GK: Ich bin fasziniert von den Werken und Leben von Artemisia Gentileschi, Marina Abramović, Pina Bausch, Ana Mendieta, Frida Kahlo, Louise Bourgeois, Pussy Riot, Guerrilla Girls, Judy Chicago, Niki de Saint Phalle, Amy Sherald, Yayoi Kusama, Ithell Colquhoun, Yoko Ono, Georgia O’Keeffe und Leonora Carrington.
Marina Abramović hat wahrscheinlich den größten Einfluss auf meine Arbeit. 2017, während einer tiefen Transformation, traf ich Marina in Kiew, wo sie eine öffentliche Vorlesung im Pinchuk Art Centre hielt. Sie sagte: Wenn du eine Künstlerin bist, gibt es keine zweite Antwort auf die Frage, wer du bist. Das hat meine Sicht auf mich selbst verändert.
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gp: Was würdest du jungen Künstlerinnen raten, die sich in der Kunstwelt zurechtfinden wollen?
GK: Vertraut euch selbst und eurer einzigartigen Vision. Seid spielerisch, arbeitet viel und erforscht eure göttlich weibliche Natur. Vernetzt euch mit queeren Künstlergemeinschaften und engagiert euch in Kunst- und Ökologieprojekten – dadurch öffnen sich viele neue Türen.
Das Inspirierendste ist die Zusammenarbeit mit anderen Künstlerinnen. Sie lässt eure Arbeit schneller wachsen und bietet große Unterstützung.
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gp: Welche Entwicklungen in der Kunstszene in Bezug auf Gleichberechtigung würdest du dir für die Zukunft wünschen?
GK: Frauen wurden historisch aus dem professionellen Kunstbereich ausgeschlossen. Erst mit der feministischen Kunstbewegung der 60er und 70er Jahre begann sich das zu ändern.
Ich möchte mehr weibliche Stimmen in der Kunstwelt sehen und mehr Möglichkeiten für Frauen und queere Künstler, professionelle Karrieren in der Kunst aufzubauen.
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gp: Wie siehst du den aktuellen Kunstmarkt? Gibt es Trends, die deine Arbeit beeinflussen?
GK: Ich reise derzeit durch Lateinamerika – Peru, Ecuador, Kolumbien und Mexiko. Überall sehe ich viele Künstlerinnen, die sich mit Heilung nach Traumata, Gemeinschaft, Natur und Spiritualität beschäftigen.
Das größte Thema in der weiblichen Kunst ist für mich die Verbindung zur Großen Kosmischen Mutter, zur göttlich Weiblichen Energie, Heilung und Transformation.
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gp: War es eine bewusste Entscheidung, mit einer Galeristin zusammenzuarbeiten, oder waren andere Faktoren ausschlaggebend?
GK: Meine erste Begegnung mit der galerie probst fand über die talentierte Kuratorin und Galerieassistentin Véro Seibert statt. Wir hatten bereits zuvor in der SLP Gallery mit Véro zusammengearbeitet.
Nachdem ich galerie probst kennengelernt hatte, war ich fasziniert von ihrer Arbeit und ihrem tiefen Verständnis für zeitgenössische Kunst – sowohl im Diskurs über Kunstgeschichte und Politik als auch in Bezug auf Trends und die Bedürfnisse der Kunstwelt.
Anna ist eine große Inspiration. Sie ist eine wahre weibliche Führungspersönlichkeit mit einer magischen Vision. Ich fühle mich sehr glücklich, mit der galerie probst und ihrem großartigen Team zusammenarbeiten zu dürfen.